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Neue Erkenntnisse zur strafrechtlichen Haftung in Deutschland für illegales Schiffsrecycling26 April 2023

1 EINLEITUNG

Verschiedene deutsche Staatsanwaltschaften ermitteln derzeit gegen Personen, die mutmaßlich bei der rechtswidrigen Abwrackung von Schiffen beteiligt waren. Besondere Aufmerksamkeit verdient ein hilfreicher Aufsatz des Praktikers Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Hamburg, Michael Elsner,¹ der kürzlich zu verschiedenen Fragen, die die Strafbarkeit von Schiffsabwrackungen nach deutschem Strafrecht betreffen,² Stellung genommen und somit weitere Rechtsklarheit geschaffen hat.

2  ELSNERS KERNAUSSAGEN

Von besonderem Interesse sind folgende Kernaussagen von Elsner:

2.1  Elsner führt als Ausgangspunkt aus, dass auf völkerrechtlicher Ebene die Hong Kong International Convention for the Safe and Environmentally Sound Recyling of Ships, 2009 (nachfolgend: „Hongkong-Übereinkommen“), die Regelungen zum umweltgerechten und sicheren Abwracken von Schiffen enthalte, mangels Unterzeichnung durch eine ausreichende Anzahl an qualifizierten Staaten noch nicht in Kraft getreten sei.³

2.2  Das Hongkong-Übereinkommen sei jedoch „Vorbild und Impulsgeber“ für die Verabschiedung der Verordnung (EU) Nr. 1257/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 über das Recycling von Schiffen und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 und der der Richtlinie 2009/16/EG (nachfolgend: „EUSchiffsrecycling-VO“ oder „VO (EU) Nr. 1257/2013“) durch den Gesetzgeber der Europäischen Union (nachfolgend: „EU“).⁴ Der Anwendungsbereich der EU-Schiffsrecycling-VO komme in Betracht, wenn ein Schiff die Flagge eines Mitgliedstaates der EU führe.⁵ Nach der EU-Schiffsrecycling-VO haben Schiffseigner von Schiffen, die als letzte Flagge die eines Mitgliedstaates der EU geführt habe, sicherzustellen, dass solche Schiffe „nur in Abwrackeinrichtungen recycelt werden, die in der europäischen Liste aufgeführt sind“.⁶

2.3  Elsner erläutert, dass Art. 22 Abs. 1 der EU-Schiffsrecycling-VO die Mitgliedstaaten der EU verpflichte, auf nationaler Ebene Sanktionen für Verstöße gegen die EU-Schiffsrecycling-VO zu erlassen.⁷ Die Bundesrepublik Deutschland habe es aber bis heute versäumt, eine Sanktion in Form eines Strafgesetzes, das einen Verstoß gegen die EU-Schiffsrecycling-VO bestraft (insbesondere die Abwrackung eines Schiffes mit EU-Flagge auf einer Abwrackeinrichtung, die nicht auf der „europäischen Liste“ geführt wird), zu verabschieden.⁸ Elsner resümiert, dass mithin in der Bundesrepublik Deutschland eine „Strafbarkeitslücke“ bestünde.⁹

2.4  Bei Abwrackung eines Schiffes mit EU-Flagge auf einer Abwrackeinrichtung, die nicht auf der „europäischen Liste“ geführt wird, scheide auch eine Strafbarkeit nach dem bundesdeutschen § 18a AbfallVerbrG aus, da dieses Strafgesetz nur einen Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen (nachfolgend: „EU-Abfallverbrings-VO“ oder „VO (EG) 1013/2006“) bestrafe.¹⁰ Weiterhin konstatiert Elsner, dass eine Strafbarkeit nach dem bundesdeutschen § 326 StGB (Unerlaubter Umgang mit Abfällen), insbesondere Abs. 2 StGB, ebenfalls nicht in Betracht komme. § 326 Abs. 2 StGB bestrafe nur das Verbringen von Abfällen „entgegen einem Verbot“ (erste Variante) oder „ohne die erforderliche Genehmigung“ in die, aus der oder durch die Bundesrepublik Deutschland (zweite Variante). Ein Verstoß gegen die erste Variante komme nicht in Betracht: Die EU-Schiffsrecycling-VO statuiere nur Pflichten des Schiffseigners bei der Vorbereitung zum Abwracken, aber kein „Verbot“ im Sinne des § 326 StGB.¹¹ Ein Verstoß gegen die zweite Variante sei ebenfalls nicht einschlägig: Auch eine an den Schiffseigner adressierte Genehmigung zur Verbringung des Schiffes zwecks Abwrackung im Sinne des § 326 StGB enthalte die EU-Schiffsrecycling-VO nicht.¹²

2.5  Als „Auffangtatbestand“ gegenüber der EU-Schiffsrecycling-VO könne nach Elsner aber noch die EU-Abfallverbringungs-VO, die u.a. die Verbringung von Abfällen regele, zur Anwendung kommen.¹³ So stellt Elsner fest: „Alle Fälle des Schiffsrecyclings, die nicht vom Anwendungsbereich der VO (EU) Nr. 1257/2013 erfasst werden, unterfallen dem Regelungsbereich der VO (EG) 1013/2006.“¹⁴ Und weiterhin führt er aus: „Ein Schiff, das zum Zweck des Recyclings in ein Drittland verbracht wird, unterfällt auch dem Abfallbegriff der VO (EG) Nr. 1013/2006.“¹⁵ Drittland sei ein Staat, für den der OECD-Beschluss nicht gelte, etwa Bangladesch, Indien und Pakistan.¹⁶

2.6  Anders als bei der EU-Schiffsrecycling-VO, bei der der Verstoß mangels Strafgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland straffrei sei,¹⁷ habe der bundesdeutsche Gesetzgeber für den Verstoß gegen die EU-Abfallverbringungs-VO jedoch ein nationales Strafgesetz in Form des § 18a AbfallVerbrG erlassen.¹⁸ Elsner zieht den Schluss, dass sich „ein Schiffseigner, der ein Schiff, das als letzte Flagge die eines Nicht-EU-Mitgliedstaats führt, zum Zweck des Recyclings in eine Abwrackeinrichtung in ein Drittland verbringt, für das der OECG-Beschluss nicht gilt,“ sich nach § 18a Abs. 1 Nr. 2 lit. b AbfVerbrG strafbar machen könne.¹⁹ Für eine Strafbarkeit nach § 18a AbfallVerbrG sei es dabei nicht erforderlich, „dass das Schiff von einem deutschen Hafen aus seine ‘letzte Reise’ zu einer Abwrackeinrichtung zB nach Indien, Pakistan oder Bangladesch“ antrete.²⁰ Der „in Deutschland geschlossene Vertrag mit einem Empfänger, einer Entsorgungsanlage oder einem Beförderer“ reiche aus, damit sich der Schiffseigner nach § 18a AbfallVerbrG strafbar machen könne.²¹ Auch sei eine Strafbarkeit anzunehmen, wenn offensichtlich sei, „dass das Schiff vom Erwerber nicht zu seinem eigentlichen Bestimmungszweck genutzt werde, sondern nur als Abfall zur Verwertung in eine nicht zertifizierte Abwrackeinrichtung verbracht“ werde.²²

3  STELLUNGNAHME

3.1 Elsners Kernaussagen ist zuzustimmen.

(a) Die EU-Schiffsrecycling-VO ist einschlägig, wenn ein Schiff eine EU- Flagge führt. Klarzustellen ist, dass auf die Flagge des Schiffes abzustellen ist, nicht auf das Schiffsregister, in dem das Schiff registriert ist. Insbesondere im in der Bundesrepublik Deutschland oft üblichen Fall der Ausflaggung kommt eine Anwendbarkeit der EU-Schiffsrecycling-VO nicht in Betracht, wenn das Schiff in eine Bareboat-Jurisdiktion außerhalb der EU ausgeflaggt ist, auch wenn das Schiff noch in einem bundesdeutschen Schiffsregister registriert ist. Selbst wenn das Schiff aber die Flagge der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaats der EU führen sollte und die EU-Schiffsrecycling-VO somit einschlägig wäre und der Schiffseigner das Schiff nicht auf einer Abwrackeinrichtung abwracken lässt, die nicht auf der „europäischen Liste“ genannt ist, ist der Verstoß des Schiffseigners gegen die EU-Schiffsrecycling-VO in der Bundesrepublik Deutschland mangels Strafgesetzes derzeit nicht strafbar.

(b) Als „Auffangtatbestand“ kommt aber noch ein Verstoß gegen die EU-Abfallverbringungs-VO in Betracht, die allgemein die Verbringung von Abfall (und darunter können auch Schiffe fallen) reguliert. Verbringt ein Schiffseigner ein Schiff in einen Drittstaat zum Abwracken, kann er gegen die EU-Abfallverbringungs-VO verstoßen und sich nach § 18a AbfallVerbrG strafbar machen.

(i)  Die „letzte Reise“ des Schiffes muss in der Tat nicht von einem deutschen Hafen losgehen, um eine Strafbarkeit des Schiffseignes zu begründen. Es reicht, wenn das Schiff in Hoheitsgewässern irgendeines Mitgliedstaats der EU war und, als Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, zumindest etwa der Kaufvertrag, mit dem der Schiffseigner das Schiff zum Beispiel an einen „Cash Buyer“ verkauft, in der Bundesrepublik Deutschland gegengezeichnet wurde.

(ii) Von besonderer Bedeutung ist dabei Elsners Feststellung, dass eine Strafbarkeit nach § 18a AbfallVerbrG nur in Betracht kommt, wenn das Schiff die Flagge eines Nicht-EU-Mitgliedstaats geführt hat.²³ Führt das Schiff eine EU-Flagge, ist nämlich nicht die EU-Abfallverbringungs-VO anwendbar, sondern die spezielle EU-Schiffsrecycling-VO. Ein Verstoß gegen die EU-Schiffsrecycling-VO ist aber derzeit in Deutschland nicht strafbar. Konsequenterweise führt dies zu dem (wenn auch absurden) Ergebnis, dass ein Schiffseigner vor einer Strafbarkeit nach § 18a AbfallVerG bei Verbringung eines Schiffes aus EU-Hoheitsgewässern in ein Drittland zwecks Abwrackung sogar geschützt ist, wenn das Schiff eine EU-Flagge führt. Denn mit Führen der EU-Flagge kommt die EU-Schiffsrecycling-VO zur Anwendung (deren Verstoß nicht strafbar ist), die als lex specialis die EU-Abfallverbringungs-VO (deren Verstoß strafbewehrt ist) verdrängt.²⁴

(iii) Eine Strafbarkeit des Schiffseigner nach § 18a AbfallVerbrG kann auch nicht vermieden werden, wenn der Kaufvertrag für das Schiff vorsieht, dass dieses zum weiteren Handelsbetrieb („for further trading“) verkauft wird, für den Schiffseigner aber evident ist, dass der Käufer es als Abfall zur Abwrackung in eine nicht zertifizierte Abwrackeinrichtung verbringt. Schiffseigner als Verkäufer sollten prüfen, ob ihre Vertragspartner willens und in der Lage sind, das Schiff weiter im Handelsbetrieb zu nutzen. Hierbei wird auch eine Rolle spielen, ob die Fortführung noch innerhalb der regulären wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Schiffes erfolgt und in welchem Zustand sich das Schiff befindet.

3.2 Nachfolgend werden die strafrechtlichen Folgen bei verschiedenen Fallkonstellationen aufgeführt, wobei davon ausgegangen wird, dass der Schiffseigner ein Schiff zum Abwracken außerhalb der EU in ein Drittland verbringen möchte. Bei der strafrechtlichen Beurteilung sind maßgebliche Kriterien die Flagge und das Hoheitsgewässer, aus welchen das Schiff verbracht wird.

(a) Schiff führt keine EU-Flagge, Verbringung des Schiffes aus Hoheitsgewässern eines EU-Mitgliedsstaats
Da das Schiff keine EU-Flagge führt, ist die EU-Schiffsrecycling-VO nicht anwendbar. Wird das Schiff aber aus EU-Gewässern in ein Drittland zur Abwrackung verbracht, kann die EU-Abfallverbringungs-VO anwendbar und ein Verstoß nach § 18a AbfallVerbrG strafbar sein.

(b) Schiff führt keine EU-Flagge, keine Verbringung des Schiffes aus Hoheitsgewässern eines EU-Mitgliedsstaats
Weder die EU-Schiffsrecycling-VO noch die EU-Abfallverbringungs-VO sind anwendbar. Ein Verstoß nach § 18a AbfallVerbrG ist nicht ersichtlich.

(c) Schiff führt eine EU-Flagge, Verbringung des Schiffes aus Hoheitsgewässern eines EU-Mitgliedsstaats
Führt ein Schiff eine EU-Flagge, ist die EU-Schiffsrecycling-VO anwendbar. Der Schiffseigner muss insbesondere sicherstellen, dass das recycelnde Schiff nur in einer Abwrackeinrichtung recycelt wird, die in der europäischen Liste der Abwrackeinrichtungen aufgeführt ist. Ein Verstoß gegen die EU-Schiffsrecycling-VO ist in der Bundesrepublik Deutschland aber mangels Strafgesetzes nicht strafbar. Die EU-Abfallverbringungs-VO ist nicht einschlägig. Eine Strafbarkeit nach § 18a AbfallVerbrG kommt nicht in Betracht.

(d) Schiff führt eine EU-Flagge, keine Verbringung des Schiffes aus Hoheitsgewässern eines EU-Mitgliedsstaats
Da das Schiff die Flagge eines Mitgliedsstaats der EU führt, ist die EU-Schiffsrecycling-VO anwendbar. Ein Verstoß gegen diese Verordnung ist in der Bundesrepublik Deutschland aber nicht strafbar. Ein Verstoß gegen die EU-Abfallverbringungs-VO scheidet ebenfalls aus.

4  FAZIT

Schiffsrecycling findet nicht im rechtsfreien Raum statt, aber das einzige umfassende internationale Regelwerk (das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung, 1989) wird – insbesondere in Bezug auf Schiffe – nicht ausreichend durchgesetzt. Eine spezielle Regelung in der EU für das Abwracken von Schiffen reicht nicht aus. Auch außerhalb der EU ist ein Rechtsrahmen erforderlich. Sobald das Hongkong-Übereinkommen in Kraft tritt, ist ein großer Schritt getan. Aber auch dann müssen die Vertragsstaaten noch auf nationaler Ebene Maßnahmen ergreifen. Das Fehlen globaler Maßnahmen im Rahmen des Basler Übereinkommens zeigt, dass noch ein langer Weg vor uns liegt.

Footnotes

[1] Elsner, Zur Strafbarkeit des “Schiffsrecyclings”, NStZ 2023, S. 135 ff.
[2] Nachfolgende Ausführungen beschränken sich auf eine eventuelle Strafbarkeit eines Schiffseigners in der Bundesrepublik Deutschland.
[3] Elsner, a.a.O., Seite 135.
[4] Elsner, a.a.O, Seite 135.
[5] Elsner, a.a.O, Seite 137.
[6] Elsner, a.a.O., Seite 136.
[7] Grund ist, dass der Gesetzgeber der EU keine Kompetenz hat, einen Verstoß gegen die EU
Schiffsrecycling-VO zu sanktionieren.
[8] Elsner, a.a.O, Seite 137.
[9] Elsner, a.a.O., Seite 138.
[10] Elsner, a.a.O., Seite 137. Siehe dazu unten unter Ziffer 2.6.
[11] Elsner, a.a.O., Seite 137.
[12] Elsner, a.a.O., Seite 137.
[13] Elsner, a.a.O., Seite 136.
[14] Elsner, a.a.O., Seite 136.
[15] Elsner, a.a.O., Seite 138.
[16] Elsner, a.a.O., Seite 137.
[17] Siehe oben Ziffer 2.4.
[18] Elsner, a.a.O., Seite 136.
[19] Elsner, a.a.O., Seite 138.
[20] Elsner, a.a.O., Seite 138.
[21] lsner, a.a.O., Seite 138.
[22] Elsner, a.a.O., Seite 138.
[23] Siehe oben Ziffer 2.4.
[24] So wohl auch Elsner, a.a.O., Seite 138.

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